»Die AfD möchte die NS-Zeit entsorgen…« [1]
Interview mit Helmut Ortner
In einer Zeit, in der rechte Populisten und die AfD die deutsche Erinnerungskultur beenden möchten, wendet sich Helmut Ortner in seinem neuen Buch gegen jede Verharmlosung und Relativierung der NS-Vergangenheit. Die »Entsorgung« der NS-Zeit« möchte er nicht akzeptieren.
PATRICK ALLGÖVER: "Sie beschreiben in Ihren Texten die breite Zustimmungs- und Mitmach-Mentalität der Deutschen während der nationalsozialistischen Diktatur. Wie denkt die heutige Generation der Deutschen darüber?"
HELMUT ORTNER: "Viele Deutsche waren beteiligt an Nazi-Verbrechen. Ganz nach Goebbels Losung: "Volkgemeinschaft und Schicksalsgemeinschaft". Das Regime erwartete und belohnte Opportunismus, Zustimmung und Anpassung. Es waren nur wenige, die sich gegen die Mehrheit stellten.
Bleibt die Frage: Wie konnte sich Deutschland zu einer menschlichen Maschinerie des Zerstörens, Eroberns und Mordens entwickeln? Wie konnte das geschehen, fragt sich auch die heutige, die jüngere Generation. Warum beteiligten sich ihre Väter und Großväter an dieser nationalsozialistischen Barbarei? Was machte sie zu Mit-Läufern, Mit-Profiteuren und Weg-Sehern? Zu Tätern und Komplizen? Die Antwort ist ebenso schlicht wie beschämend: Weil die Menschen damals so waren, wie wir heute sind..."
"Sie wenden sich vehement gegen eine »Entsorgung« der NS-Zeit, auch gegen eine Umdeutung der »Vergangenheitsgeschichte«, wie sie die AfD fordert …"
"Das Beenden unserer Erinnerungskultur gehört zum Weltbild der AfD. Sie nennt die Verbrechen der Nationalsozialisten vor dem Hintergrund der "tausendjährigen deutschen Geschichte” einen "Vogelschiss", wie es ihr Ehrenvorsitzender Alexander Gauland getan hat und redet von einer "180-Grad-Wende" in Erinnern der deutschen Geschichte, wie es Björn Höcke fordert. Aus den Hitler-Deutschen wird hier ein »verführtes deutsches Volk«, aus Tätern und Mit-Tätern – werden einfache pflichtbewusste Soldaten und patriotische Befehlsempfänger, der Widerstand gegen das Hitler-Regime wird als Verrat an der Heimatfront denunziert. Hier werden die NS-Verbrechen verharmlost und umdeutet. Es geht um die »Entsorgung« der NS-Zeit. Das möchte ich nicht akzeptieren."
"Die AfD wird gerne in die Nähe der NSDAP gerückt. Für wie statthaft halten Sie diesen Vergleich?"
"Nein, die AfD ist nicht die NSDAP. Wir nicht im Jahr 1933 und nicht alle, die der AfD ihre Stimme geben, sind »Nazis«. Aber sie müssen sich vorwerfen lassen, rechtsradikale und rechtsextremistische Politiker mit weitreichenden parlamentarischen Legitimationen und Eingriffsmöglichkeiten auszustatten. Die AfD will den Parlamentarismus westlicher Prägung abschaffen. Sie sieht die anderen Parteien nicht als Ausdruck einer vielfältigen Demokratie und eines Wettbewerbs um das beste politische Konzept, sondern als korrupte Eliten und Volksverräter. Wer diese Partei von Anti-Demokraten und Demokratie-Feinden wählt, den sollten wir ausdrücklich in Mithaftung nehmen. Ausreden gibt es nicht.”
"Währet den Anfängen … ?
"Vergleiche hinken oft … Aber man muss ja nur einmal das im Jahr 2015 eröffnete NS-Dokumentationszentrum in München besuchen, um zu sehen, wie schnell so etwas gehen kann, wie damals, in den Zwanziger- und Dreißigerjahren, plötzlich ganz normale Bürger zu Weg-Sehern, Mit-Machern und Mit-Tätern wurden, als Hitlers Deutsche der kollektiven Barbarei verfielen. Wir sollten uns daran erinnern: Verbrechen und Mordtaten haben keine Außerirdischen verbrochen, die Mörder und Schergen waren ganz normale Menschen und kamen aus allen Schichten der Bevölkerung. Hitler war nicht über die Deutschen gekommen, die Deutschen waren zu Hitler gekommen.”
"Sie befassen sich in Ihren Beiträgen oft mit Hitler-Deutschland. Im Februar erscheint Ihr neues Buch »GNADENLOS DEUTSCH«. Kann man da überhaupt noch Neues erfahren?"
"Ich schreibe für die »Heutigen«. Die zentrale Frage »Wie konnte das geschehen« verschwindet ja zunehmend. Sie wenigstens partiell zu beantworten, darum geht steht in meinen Büchern. Meine Texte sind vor allem der jüngeren Generation zur Lektüre empfohlen, die in der Beschäftigung mit der deutschen Geschichte wissen und lernen wollen, statt Lehr- und Merksätze zu notieren. Die heutige Generation ist eine schuldlose Generation. Aber sie hat eine Verpflichtung: sich zu erinnern!” Dazu möchte ich beitragen. ”
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Helmut Ortner
GNADENLOS DEUTSCH
Täter, Helfer, Zuschauer – Und die Entsorgung der NS-Zeit
Alibri Verlag, 324 Seiten, 24 Euro
Helmut Ortner liest am 12.05.26 ab 19 Uhr im hbbk [2] aus diesem seinem neuen Buch.
Das Interview ist zuerst bei Pressenza Press erschienen. Die Rechte liegen bei Helmut Ortner.

