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Warum Schwurbler schwurbeln: Die Rolle der "Core Knowledge"

Von Alexander Wolber

Kind beim LernenWer schwurbelt, erzählt Unsinn. Damit könnte das Thema schon ad acta gelegt werden - es wäre so einfach. Allerdings schwurbeln zu viele, als dass man es einfach ignorieren könnte. Ob Religion, Esoterik, Parapsychologie oder Verschwörungstheorien (die Liste ließe sich lange weiterführen), allesamt liefern sie genug Stoff für Pseudoerzählungen, die nur darauf warten, auf die Welt losgelassen zu werden.

Und das ist auch schon oft genug passiert und passiert jetzt gerade, in diesem Moment! Religionen haben Einfluss auf Politik und Gesetzgebungen, esoterische Angebote ziehen den Deutschen Milliarden von Euro jährlich aus der Tasche, Kinder ängstigen sich vor Geistergeschichten und Demagogen nutzen Verschwörungserzählungen, um die Bevölkerung gegen "Eliten" aufzuhetzen. Rational denkende Menschen verbleiben hingegen ungläubig (Wortspiel beabsichtigt) zurück und verstehen die Welt nicht mehr.

Schwurbel kann viele Ursachen haben, die sich in einem biopsychosozialen Bedingungsgefüge einordnen lassen. Eine genetische Prädisposition für psychotische Störungen, Einsamkeitserleben sowie interpersoneller Stress und sozialer Rückzug sind neben akuten Lebenskrisen, Erkrankungen und unterschiedlicher demografischer Variablen nur einige wenige Faktoren, die mit Schwurbel korrelieren. Wenig Beachtung hingegen erfährt die Frage nach dem "Substrat" des Schwurbelns, in dem so manche wahnsinnige Idee überhaupt erst keimen kann. An dieser Stelle kommen die Core Knowledge ins Spiel.

Core Knowledge

Aus entwicklungspsychologischer Perspektive versteht man unter Core Knowledge (deutsch: Basiswissen) jene fundamentalen Vorstellungen von der Beschaffenheit der Welt (Ontologie), auf deren Grundlagen sich Wissen im Laufe des Lebens überhaupt erst bilden kann. Bereits Kleinkinder verfügen daher über intuitive physikalische (zum Beispiel: "die Welt besteht aus materiellen Objekten"), biologische ("Pflanzen können wachsen") und psychologische ("Menschen haben eigene Gefühle und Gedanken") Annahmen, mit denen sie versuchen, Lebenserfahrungen in ihr Modell der Welt zu integrieren. Studien legen nahe, dass Erwachsene, die dazu bereit sind, "Verletzungen" solcher Core-Annahmen zu akzeptieren, eher zu paranormalen Überzeugungen1,2,3, Aberglauben1, Verschwörungstheorien2,4, Pseudowissenschaften2,5, Alternativmedizin2,6, teleologischen Fehlschlüssen2,7 und Religiosität/Spiritualität2,3 neigen. Diese Verletzungsbereitschaft kann mit dem "Core Knowledge Confusion" Modell gemessen werden. Auf sechs unterschiedlichen Domänen müssen je fünf bis sechs Aussagen zu möglichen Verletzungen der Core Knowledge beantwortet werden, indem eine Einschätzung abgegeben wird, ob die fragliche Aussage eher metaphorisch oder wörtlich gemeint ist8. Gemessen werden nicht explizite Überzeugungen, sondern ontologische Fehler. Beispielaussagen sind: "Blumen mögen Bienen", "Ein Haus kennt seine Geschichte", oder "Ein Geist berührt einen anderen".

Die Rolle der Erziehung und der Pädagogik

Core Knowledge sind durch äußere Einflüsse allerdings leicht modifizierbar, zumindest während der Kindheit. In einer aktuellen US-amerikanischen Untersuchung wurden 125 drei bis fünfjährige in Bezug auf ihr "wissenschaftliches" Core Knowledge hin untersucht. Den Kleinkindern wurde ein Aufgabenset vorgelegt, in dem sie beispielsweise die richtige Reihenfolge des Pflanzenwachstums anhand von Bilderkarten aufzeigen sollten9. Die Eltern beantworteten einen Fragebogen zum Alltag und häuslichen Umfeld ihrer Kinder. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Kinder, die zu Hause häufiger mit wissenschaftsrelevantem Material konfrontiert wurden (Vorlesen von Büchern, wissenschaftsbezogenen Kinderserien etc.), deutlich bessere wissenschaftsbezogene Core Knowledge hatten, als Kinder, die ihre Zeit anderweitig verbrachten10.

Eine Kooperationsstudie der Pädagogischen Hochschule Freiburg und der LMU München konnte anhand von 227 sechsjährigen Kindern ebenfalls nachweisen, dass sich wissenschaftliches Denken bereits im Kindergarten entwickelt11. Die Autoren der Studie empfehlen eine Integration von wissenschaftlichem Denken in das didaktische Konzept der Kindergärten11.

Fazit

Core Knowledge entwickeln sich früh in der Kindheit und beschreiben die entwicklungspsychologischen Grundlagen menschlicher Ontologie. Akzeptanz für Verletzungen der Core Knowledge gehen einher mit ontologischen "Verwirrungen", die wiederum die Zuwendung zu Para- und Pseudowissenschaften zur Folge haben können.

Aktuelle Studien unterstreichen, dass wissenschaftliches Denken bereits im Kindergartenalter vermittelt werden sollte. Das birgt das Potenzial der Förderung wissenschaftlichen und kritischen Denkens in der Bevölkerung und damit einhergehend eine Reduktion von Schwurbel. Dem entgegen steht die Bildungskrise, in der seit Jahren vor sinkender Qualität in deutschen Kindertagesstätten gewarnt wird.

 

1 Lindeman, M., & Aarnio, K. (2007). Superstitious, magical, and paranormal beliefs: An integrative model. Journal of research in Personality, 41(4), 731-744.

2 Gallyamova, A., Komyaginskaya, E., & Grigoryev, D. (2024). Paranormal beliefs and core knowledge confusions: A meta-analysis. Personality and Individual Differences, 230, 112780.

3 Lindeman, M., & Svedholm‐Häkkinen, A. M. (2016). Does poor understanding of physical world predict religious and paranormal beliefs? Applied Cognitive Psychology, 30(5), 736-742.

4 Lobato, E., Mendoza, J., Sims, V., & Chin, M. (2014). Examining the relationship between conspiracy theories, paranormal beliefs, and pseudoscience acceptance among a university population. Applied Cognitive Psychology, 28(5), 617-625.

5 Riekki, T., Lindeman, M., & Lipsanen, J. (2013). Conceptions about the mind-body problem and their relations to afterlife beliefs, paranormal beliefs, religiosity, and ontological confusions. Advances in Cognitive Psychology, 9(3), 112.

6 Lindeman, M. (2011). Biases in intuitive reasoning and belief in complementary and alternative medicine. Psychology and Health, 26(3), 371-382.

7 Lindeman, M., Svedholm-Häkkinen, A. M., & Riekki, T. J. (2023). Searching for the cognitive basis of anti-vaccination attitudes. Thinking & Reasoning, 29(1), 111-136.

8 Williams, B. M., Browne, M., Rockloff, M., & Stuart, G. (2024). Revising the core knowledge confusions scale: a measure of logical error associated with cognitive and personality traits. Current Psychology, 43(20), 18074-18088.

9 Zucker, T. A., Williams, J. M., Bell, E. R., Assel, M. A., Landry, S. H., Monsegue-Bailey, P., ... & Bhavsar, V. (2016). Validation of a brief, screening measure of low-income pre kindergartener’s science and engineering knowledge. Early Childhood Research Quarterly, 36, 345-357.

10 Westerberg, L., Schmitt, S. A., Eason, S. H., & Purpura, D. J. (2022). Home science interactions and their relation to children’s science core knowledge in preschool. Journal of Experimental Child Psychology, 222, 105473.

11 Koerber, S., & Osterhaus, C. (2019). Individual differences in early scientific thinking: Assessment, cognitive influences, and their relevance for science learning. Journal of Cognition and Development, 20(4), 510-533.